Die übergeordnete Fragestellung von KISR Hansaplatz stammte aus der Raumforschung: „Was machen Räume mit Menschen und Menschen mit Räumen?“ (Prof Dr. Jürgen Hasse). Diese Frage sollte auf die Komplexität des konkreten Ortes des Hansaplatzes und das Zusammenspiel der hier wirkenden Atmosphären, Raumkonstruktionen und Entwürfe gesellschaftlichen Zusammenlebens Anwendung finden.

Beim ersten Besuch des Hansaplatzes stellt man fest, dass es sich gar nicht um einen Platz im eigentlichen Sinne handelt, sondern um eine Kreuzung. Und das im verkehrstechnischen und stadtgesellschaftlichen Sinn. Vier Segmente mit unterschiedlichen Nutzungen, Funktionen und Atmosphären fügen sich zum Hansaplatz zusammen. Die äußeren Ränder sind nicht umbaut, sondern verlaufen diffus in die Grünanlagen.

Schreitet man im Uhrzeigersinn den Platz ab, so bestimmt die stille Erhabenheit der St. Ansgar-Kirche mit dem kleinen Vorplatz, auf dem freitags ein Wochenmarkt stattfindet, das erste Segment. Überquert man die Altonaer Straße steht man vor einer Shisha-Bar, an die sich das GRIPS-Theater anschließt. Aus dem nördlichen U-Bahn-Ausgang der Station „Hansaplatz“ kommen in regelmäßigen Abständen Menschen herausgeströmt und verteilen sich in dem sich anschließenden Einkaufszentrum. Ein Späti dient Obdachlosen als Anlaufpunkt und Aufenthaltsort. Die euphorischen Utopien der Interbau und ihre modernistische Reinheit treffen auf prekäre Lebensrealitäten marginalisierter Menschen. Auf der anderen Seite der Bartningallee findet man die weitläufigen Grünanlagen, die von Helga Hammerbacher gestaltet wurden und aus denen die Gebäude von Egon Eiermann und Oscar Niemeyer herausragen. Das vierte und letzte Segment erreicht man, indem man ein weiteres Mal die Altonaer Straße überquert, an deren Ende die „Goldelse“ von der Siegessäule grüßt. Auch hier weitläufiges Grün, das mit zahlreichen Trampelpfaden versehen ist und in dessen Zentrum die Hansabibliothek steht.

Am Eingang des südlichen U-Bahn-Ausganges erinnert ein Kunstwerk an die Deportation der Juden und Jüd*innen aus dem alten Hansaviertel. Bei der Konzeption des Hansaviertels wurde von Anfang Kunst mitgedacht und realisiert. So begegnet man bei einem Spaziergang durch das Hansaviertel beiläufig herausragenden Kunstwerken wie beispielsweise von Henry Moore. Seit dem Bau des Hansaviertels in den 1950er Jahren hat sich jedoch sowohl die Kunst als auch der Stadtraum selbst gewandelt und so stellt sich die Frage, wie man sich heute zu den bestehenden Arbeiten verhält? Zu diesen konzeptuellen Fragen gesellten sich noch ganz praktische für die Umsetzung des Projekts: Wie realisiert man Kunst im Stadtraum, wenn der Stadtraum komplett unter Denkmalschutz steht und vielleicht demnächst zusammen mit der Karl-Marx-Allee den Status UNESCO Weltkulturerbe erlangt?

Mit diesen Startkoordinaten ging es in den einphasigen, nichtoffenen und anonymen Kunstwettbewerb, zu dem fünfzehn Künstler*innen eingeladen wurden: Ulf Aminde, bakleer, Stefan Endewardt, Esra Ersen, Martin Kaltwasser, Fabian Knecht, Folke Köbberling, Jan Köchermann, Kristina Leko und David Smithson, Felix Lüdicke, Henrike Naumann, Sonya Schönberger, Theresa Schütz, Anna Witt, Ralf Witthaus. Das Preisgericht empfahl fünf Arbeiten zur Realisierung, die in Format und Themenstellung sehr unterschiedlich sind und die das Spektrum zeitgenössischer Kunst im Stadtraum sehr gut abbilden:

Mit der Arbeit Nachbarn auf Zeit von Folke Köbberling kam erstmals eine Schafherde ins Hansaviertel. Fünf Schafe der Herde blieben für einen ganzen Monat und wurden von Anwohner*innen versorgt. Als Symbol für Frieden stehen sie in vielen Ländern darüber hinaus auch für Selbstversorgung, Wohlstand, Konfliktlösung und Altersversorgung. Die filmische Oper deutsche wohnen (was singen die diven) …, von Ulf Aminde mit Christoph Grund handelt von Verdrängung zwischen Moderne und Investment, Stalinallee und Hansaviertel, Obdachlosigkeit und der Frage, wie wir wohnen wollen. Unter der Beteiligung von Bewohner*innen aus dem Hansaviertel und der Karl-Marx-Allee entstand eine Polyphonie aus den Stimmen der Häuser und der beiden Viertel. Durch Jan Köchermanns Installation Horu wurde der Hansaplatz für begrenzte Zeit zum Alpenpanorama in zwei Phasen erklärt. Es begann mit einem Souvenirshop, zu dem sich dann im darauffolgenden Jahr eine Bergspitze, eine Höhle, ein Bergsee und der Mond dazugesellten. Für die Arbeit Zahiri und Batini entwickelte Esra Ersen zusammen mit Boris Borowski vier archetypische Objekten, die an unterschiedlichen Stellen auf dem Hansaplatz platziert wurden. Vier Wissenschaftler*innen berichteten ausgehend von diesen Objekten von ihrer Forschung zu historischen, sozialen und technischen Epochenwechseln und (Um-) Brüchen. Und Kristina Leko und David Smithson übertrugen mit Bringt ein paar Stühle mit… den Grundriss einer Wohnung und eines Gemeinschaftsraumes des Niemeyer-Hauses auf die davorliegende Wiese in Form einer Bodenarbeit und luden die Anwohner*innen und alle Interessierten ein, das gesellschaftliche Miteinander zu diskutieren.

Das Wettbewerbsverfahren und auch der weitere Realisierungsprozess wurden begleitet von einer Reihe öffentlicher Foren. Beim ersten Forum wurde über das Projekt informiert und auch Themen für die Ausschreibung des Wettbewerbs diskutiert. Im zweiten Forum wurde ein*e Repräsentant*in des Hansaplatzes für das Preisgericht gefunden. Das Verfahren für die Wahl legte die Gruppe selbst fest. Gekommen sind Anwohner*innen, die am Hansaplatz wohnen sowie weitere Beteiligte am Verfahren wie beispielsweise Vertreter*innen des Beratungsausschusses Kunst (BAK) der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Nach Abschluss des Wettbewerbs wurden in einem dritten Forum alle eingereichten Entwürfe in Anwesenheit der Künstler*innen vorgestellt. Und im letzten Forum ging es um eine Schlussbetrachtung des Projekts KISR Hansaplatz, das kontroverse Meinungen abbildete und die aktuelle Kunst im Stadtraum auf den Prüfstein brachte.

KISR – Kunst im Stadtraum wurde von Anfang so konzipiert, dass künstlerische Arbeiten zeitlich begrenzt in den Stadtraum kommen sollen. Entsprechend waren die Formate am Hansaplatz auch flüchtig und performativ. Die Frage danach, was davon übrigbleibt, wenn die Kunst wieder verschwindet, ist schwer zu beantworten. Auf jeden Fall bleiben viele neue Perspektiven auf den Hansaplatz. Und gute Geschichten.

Projektleitung: Judith Laub und Elke Falat

KISR Hansaplatz wurde finanziert und gefördert aus gesamtstädtischen Mitteln der Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

Downloads