Michaela Schweiger, Ingeborg Lockemann, Inken Reinert

Treffpunkt: Karl-Marx-Allee

In drei performativen Stadtspaziergängen und temporären Installationen werden Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Repräsentation und Verdrängung thematisiert und mit den Planungsideen der Karl-Marx-Allee verknüpft. Jede der drei Arbeiten basiert auf einem historischen Bezug zum Viertel und bindet aktuelle Debatten sowie Bewohner:innen und Initiativen ein. Repräsentative Inszenierungen werden mit weniger wahrnehmbaren sozialen und ökonomischen Realitäten in Beziehung gesetzt.

Der von Ingeborg Lockemann konzipierte Spaziergang Hier, Berolinastraße! führt zu dem derzeit in Planung befindlichen Wohnhochhaus für lesbische Frauen des Projekts „RuT Frauen Kultur & Wohnen“ in der Berolinastraße, das in seiner Größe und Lage einmalig in Europa sein wird. Hier, Berolinastraße! wirft einen Blick zurück auf die Situation homosexueller Frauen in Ostberlin. Der Spaziergang binden eigens dafür angefertigte Schriftobjekte in den öffentlichen Raum ein, die anschaulich machen, wie queeres Leben trotz der verordneten Sprachlosigkeit Begriffe fand, um sich zu begegnen. Die Objekte aus Acrylglas präsentieren unter anderem Formulierungen aus verklausulierten Anzeigen in der Wochenpost, mit der Schwule und Lesben getarnt auf Partnersuche gingen.

Das Projekt Wir, 2021 verbindet das sozialistische Modebewusstsein, das sich in den zeitlosen Schnitten der Zeitschrift für Mode und Kultur Sibylle manifestierte, mit der heutigen Ausrichtung aller Lebensbereiche auf wirtschaftliche Interessen, in der auch Wohnraum zur heiß begehrten Ware geworden ist. Die Sibylle zeigte selbstbewusst und eigenständig wirkende Frauen im städtischen Raum, in eleganter, einfallsreicher Kleidung, die es in der DDR allerdings selten zu kaufen gab. Für die Arbeit Wir, 2021 lassen drei Bewohner:innen des Viertels drei Entwürfe aus der Sibylle nachschneidern. Der Arbeitslohn für die Schneidereien basiert auf einer Formel, die besagt, dass nicht mehr als 30 Prozent des Monatseinkommens für die Miete ausgegeben werden soll. das Budget für jedes Kleidungsstück richtet sich nach der ortsüblichen Miete. Ist es aufgebraucht, beenden die Schneider:innen ihre Arbeit. Die unvollendeten Kleider werden vorgeführt und in Anlehnung an Fotografien aus der Sibylle inszeniert. Diese Fotos werden über die gesamte Laufzeit des Projekts am Haus des Lehrers, am Kino International und am Café Moskau zu sehen sein. Zwei performative Spaziergänge kommentieren und erweitern die künstlerische Recherche von Michaela Schweiger.

Der performative Stadtspaziergang Babette im Rosengarten von Inken Reinert startet beim Rosengarten des Café Moskau. Dort wird die Geschichte der fiktiven Figur Babette als Fotofilm projiziert. Babette - Geist des Pavillons neben dem Café Moskau - kehrt zurück in den zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee. Sie kommt aus der Zukunft, die zur Entstehungszeit des Viertels quasi gleich mit entworfen wurde. In dieser Zukunft sollten sich die Menschen entfalten können, befreit von der Enge der Mietskasernen, von Klassenschranken und den ökonomischen Zwängen des Kapitalismus - Architektur, Städteplanung und Kunst im öffentlichen Raum sollten das entsprechende Umfeld dafür schaffen. Babette schaut sich im Viertel um. Die Rosen sind nun im Rosengarten eingeschlossen. Was ist sonst noch so passiert in dieser Zeit zwischen vergangener Zukunft und der Gegenwart, in der sie sich nun bewegt? Die aus dem Fotofilm herausgetretene Protagonistin trägt Texte vor – Zitate aus Gesprächen und Interviews mit Anwohner:innen, aus Zeitungsberichten und aus historischen Quellen. Um sie herum sind Rosenstöcke aufgestellt, die anschließend verteilt werden.

Downloads