Folke Köbberling

Nachbarn auf Zeit

Den Auftakt der Arbeit Nachbarn auf Zeit bildete eine Schafsdemonstration mit knapp 200 Schafen vom Haus der Kulturen der Welt, vorbei an Bellevue, über den Großen Stern zum Hansaplatz. Mit dieser Demonstration, an der über 500 Menschen teilgenommen haben, wurde auf die prekäre Lage der Wanderschäfer*innen aufmerksam gemacht und zugleich auf die fatale Situation in unseren Städten, in der Autos mehr Platz gegeben wird als Menschen, geschweige denn den Tieren. Die Demonstration fand in Kooperation mit dem Schäfer Knut Kucznik statt. Mit dabei waren auch die Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL), der Bundesverband Berufsschäfer (BVBS) und der Schafzuchtverband Berlin-Brandenburg.

Eine inhaltliche Bezugslinie zwischen den Schafen und dem Hansaplatz ist das Motto der Internationalen Bauausstellung (Interbau) von 1959, in der das Hansaviertel als „Stadt von Morgen“ konzipiert wurde. Wie sieht die Stadt von morgen angesichts von Klimawandel und grassierendem Artensterben aus? Dabei diente die Schafherde als Impulsgeber und Denkfigur dafür, wie man urbane Grünflächen klimafreundlich nutzen und gestalten könnte. Aus diesem Grund verblieben nach der Demo fünf Schafe für einen Monat im Hansaviertel – als Nachbarn auf Zeit. Die Wiese neben der Hansabibliothek wurde dazu als Schafsweide mit Stall umfunktioniert. Die Betreuung der Schafe erfolgte durch Anwohner*innen, die Patenschaften für die Tiere übernahmen und diese fütterten, morgens auf die Weide und abends wieder in den Stall brachten. „Bei den Schafen“ begegneten sich die Nachbar*innen zum Teil neu oder lernten sich überhaupt erst kennen. Die Idee des „sozialen Grüns“ – einem Kerngedanken der Interbau – wurde auf diese Art wiederbelebt und die Grünfläche als Ort der sozialen Interaktion genutzt. Neben den Schafen brachte Folke Köbberling auch die 400 Kilogramm Rohwolle mit, die den 200 Schafen im Frühjahr geschoren worden war. Mit der Wolle wurde der Stall verkleidet – optisch ein archaisch anmutender, skulpturaler Gegensatz zur modernistischen Strenge der Architektur am Hansaplatz. Die Wolle wurde dann in drei öffentlichen Workshops verarbeitet. Dabei wurde über die Eigenschaften des Materials Wolle einerseits und den fatalen Wertverlustes des Rohstoffs Wolle andererseits diskutiert. So ist Wolle jenseits der Nutzung für Bekleidung auch ein nachhaltiges Material für Dämmung oder Akustik. Aufgrund der mangelnden Nachfrage für Rohwolle ist diese ökonomisch derzeit allerdings ein Verlustgeschäft und die Schafschur und Entsorgung der nicht verkauften Wolle teurer als der Gewinn.

Köbberlings Arbeit befragt konzeptuell, rechtlich, ethisch, was Kunst im Stadtraum sein kann. Fallen die Schafe etwa unter §11 des Tierschutzgesetzes, weil sie „zur Schau gestellt werden“ oder sind die teilnehmenden Anwohner*innen das eigentliche Kunstwerk und die Schafe grasen nur?

Programm

– 14.09.2019, 12:00

Workshop

Herstellung von Transparenten für die Schafsdemonstration am 15.09.2019

Treffpunkt: Hansabibliothek

– 15.09.2019, 14:00

Schafsdemonstration

mit 200 Schafen vom Haus der Kulturen der Welt ins Hansaviertel; abschließende Kundgebung mit Schäfermeister Knut Kucznik (ca. 15:30) /

Treffpunkt: Wiese westlich des Haus der Kulturen der Welt

– 15.09.-15.10.2019

Weide

Schafsweide mit fünf Schafen auf der Wiese neben der Hansabibliothek / Grazing area for five sheep on the lawn next to the Hansabibliothek

– 17.09.-02.10.2019

Workshops zur Wollverarbeitung

mit Folke Köbberling und Gästen. Bitte Eimer mitbringen! Anmeldung erforderlich: info@kunst-im-stadtraum.berlin

17.09.2019, 16:30-19:00, mit Almut Eppinger, Kostümbildnerin

28.09.2019, 15:00-18:00, mit Folke Köbberling. Im Rahmen des Kunstfestivals Ortstermin 2019

02.10.2019, 16:30-19:00, mit Yolanda Leask, Textildesignerin

Treffpunkt: Hansabibliothek

– 21.09.2019, 16:00

Vortrag

von Folke Köbberling – Wolle als Modell für eine holistische Verarbeitung

Treffpunkt: Gemeindesaal