Esra Ersen in Zusammenarbeit mit Boris Borowski
Zahiri und Batini
Die Geschichte des Hansaviertels fügt sich in die Erzählung von Umbruch und Neuanfang und steht auch exemplarisch für einen Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland: Zwischen 1933 und 1945 wurde ein großer Teil der hier lebenden Bevölkerung entrechtet, bestohlen und ins Exil getrieben. Ihre Wohnungen übernahmen andere. Im Krieg zerstört wurde das 1957 neu entstandene Hansaviertel nicht nur für seine formale Konzeption gelobt: Die Siedlung stand symbolisch für die „freie Welt“ und war Botschafter für die Ideale des Liberalismus und der Gesellschaftsform der westlichen Welt.
Dieses Setting nehmen Esra Ersen und Boris Borowski als Ausgangspunkt für ihre Arbeit Zahiri und Batini. Im Arabischen spricht man von zahiri, dem Sichtbaren, und batini, dem Nicht-Sichtbaren, der Dualität von äußerer, sichtbarer Bedeutung und innerer, unsichtbarer Bedeutung. Dazu haben die beiden vier Holzobjekte archetypischer Architekturen – Haus, Boot, Kanzel und Turm – an vier Orten auf dem Hansaplatz platziert. Die Objekte nennen sich Makam: entlehnt aus dem Arabischen für einen „Ort, auf dem etwas errichtet ist“. Es ist eine Bezeichnung für einen Ort geistiger Präsenz oder für die Wegstationen einer Pilgerreise, oder auch für einen Amtssitz. Die archetypischen Formen der vier Architekturen ermöglichen unterschiedliche Lesarten und entziehen sich der eindeutigen Zuordnung.
Zu den vier Objekten, die temporär ein neues Netz an Bedeutungen auf dem Hansaplatz erzeugten, sprachen vier Wissenschaftler*innen zu unterschiedlichen Epochenwechseln. Im historischen und globalen Kulturvergleich wird so der geistige Raum des Hansaviertels geöffnet und Selbstverständlichkeiten werden hinterfragt. Am Makam Haus erzählte der Archäologe Dr. Hans-Georg K. Gebel vom Neolithikum und den seit damals wirkmächtigen Konstanten und Kontinuitäten in der Geschichte. Beim Makam Boot griff der Theologe Prof. Rainer Kampling das Konzil von Nicäa und seine Auswirkungen bis heute auf. Die Autorin Sina Ahlers schlug am Makam Kanzel den Bogen vom 30-jährigen Krieg und Bertold Brechts Figur „Mutter Courage“ zum Hansaplatz. Am Makam Turm sprach schließlich der Islamwissenschaftler Stefan Weidner über eine alternative Geschichte der west-östlichen Auseinandersetzungen mit Moderne und Postmoderne und deren gegenwärtig klar zu Tage tretenden zerstörerischen Aspekte.
Die Objekte waren bis 31.10.2019 auf dem Hansaplatz zu sehen.
Programmübersicht
– 14.09.2019, 14:30
Vortrag von Stefan Weidner, Islamwissenschaftler – Engel der Geschichte
Treffpunkt: Makam Turm
– 15.09.2019, 18:00
Vortrag von Dr. Hans-Georg K. Gebel, Archäologe – Eine Perspektive aus dem Neolithikum
Treffpunkt : Makam Haus
– 28.09.2019, 19:30
Vortrag von Prof. Dr. Rainer Kampling, Theologe – Das ökumenische Konzil von Nicäa. Vorzeichen einer Epochenwende
Treffpunkt: Makam Boot anschließend Gemeindesaal
– 28.10.2019, 18:30
Szenische Lesung von Sina Ahlers, Autorin – Mutter Courage am Hansaplatz
Treffpunkt: Makam Kanzel anschließend Hansabibliothek
Makam Turm Vortrag von Stefan Weidner Makam Haus